Interniche

In zahlreichen Studiengängen der Naturwissenschaften, wie beispielsweise in der Biologie, der Veterinär- oder Humanmedizin, wird während des Studiums von den Studenten die Durchführung von Tierversuchen verlangt. Die Universitäten verfügen über eigene Labore, in welchen diese Versuche durchgeführt werden. Wie die Tierversuchsstatistik der Schweiz gezeigt hat, nahmen im vergangenen Jahr die Versuche für Bildungszwecke um 3% zu. Betroffen sind fast alle Tierarten, vor allem Mäuse, Ratten, Vögel, Fische, auch Katzen und Hunde. Laut Statistik wurden ausserdem an acht Affen für Bildung und Ausbildung Tests vorgenommen.

Gerade in der Ausbildung würden sich Alternativen anbieten, da viele Versuche allein zum Erlernen von Grundlagen angewandt werden.
Seit 1988 setzen sich Studenten, Lehrpersonen und Tierschützer in der international tätigen Gruppe InterNiche für eine ethisch vertretbare Bildung in den Naturwissenschaften ein. Ihr Ziel ist es, Alternativmethoden zur Vivisektion bekannt zu machen und zu verbreiten. Um den Studierenden den Zugang zu Alternativmethoden zu erleichtern, hat InterNiche ein Ausleihsystem entwickelt, welches Computerprogramme, Modelle etc. anbietet, ausserdem können Interessierte an Trainings teilnehmen, um den Umgang mit den Alternativmethoden zu üben und natürlich auch, um Unterstützung zu finden.

Die Alternativmethoden können in sieben Gruppen zusammengefasst werden:

1. Modelle und Simulatoren

Tiere, Haut, innere Organe oder auch Glieder können so nachgebildet werden, dass der richtige Umgang mit diesen oder auch das Ansetzen von Spritzen und Skalpellen erlernt werden kann. Beispielsweise gibt es hervorragende Modelle zum Training von endoskopischen Operationen oder Magenspiegelungen. Hierbei lassen sich neben der reinen Diagnostik sogar Therapiemöglichkeiten wie etwa das Stillen einer Blutungsquelle oder das Abtragen eines Polypen trainieren, und zwar mit den echten Geräten, die auch später an Patienten zum Einsatz kommen.

2. Computersimulationen

Durch nachgestellte Laborsituationen kann zum einen das Sezieren und Testen bestimmter Mittel erlernt, zum anderen aber auch der richtige Umgang mit Laborgeräten geübt werden. Simulationen bieten Möglichkeiten, welche bei der Vivisektion undenkbar sind: Per Knopfdruck können bestimmte Bereiche des Versuchsobjektes eingehender betrachtet werden, wobei meistens auch Informationen dazu geliefert werden, und Abläufe in einem Organismus können genau beobachtet werden. Wie auch bei den obigen Alternativen können Versuche im Gegensatz zur Vivisektion beliebig wiederholt werden. Computersimulationen lassen sich hinsichtlich didaktischer Aspekte optimieren. Gerade zum Beispiel für das Training mit Medikamenten sind sie ideal. So gibt es Narkosesimulatoren, wo Ärzte korrekte Narkoseführung erlernen können. Neben unauffälligem Narkoseverlauf lassen sich sämtliche denkbare Komplikationen simulieren und der Lernende kann durch die Anzeige von Vitalwerten (Blutdruck, Puls, Sauerstoffgehalt usw.) den damit verbundenen Stress erfahren. Gibt er ein falsches Medikament oder eine falsche Dosierung, sieht er unmittelbar die Wirkung, genau wie bei echten Patienten.

3. Experimente am eigenen Körper

Dafür eignet sich zum Beispiel das Testen von Muskelkontraktionen. Aber auch das Verabreichen von Spritzen oder Blutabnahme können ohne Weiteres am menschlichen Körper geübt werden. Wer einmal selbst erfahren hat, dass die Blutabnahme schmerzhafter ist, wenn die Nadel langsam durch die Haut geführt wird, der wird künftig eine optimierte Abnahmetechnik anwenden.

4. Tierleichen aus ethisch vertretbaren Quellen

Körper von Tieren, welche eines natürlichen Todes, durch einen Unfall oder auch durch Euthanasie gestorben sind, können in vielen Bereichen des Studiums zu Untersuchungs- und Forschungszwecken eingesetzt werden, so beispielsweise, um das Sezieren und Präparieren zu erlernen. Ähnlich ist es seit langer Zeit in der Humanmedizin, wo Freiwillige ihren Körper nach dem Tod einem Lehrinstitut spenden und der Leichnam dann den Medizinstudenten als Lehrmaterial dient.

5. Praktika in Kliniken

Gerade für Studierende der Veterinär- und Humanmedizin bieten sich Praktika an, um sich in den Bereichen der Physiologie, Pathologie oder Chirurgie am Beispiel des menschlichen bzw. tierischen Körpers weiterzubilden. Die Nähe zum Fachbereich kann in dieser Form eher gewährleistet werden als bei einer Untersuchung eines eigens dafür getöteten Tieres. Auch wird nur dabei der zwischenmenschliche Aspekt erlernt. Wichtiger als jede Laboruntersuchung oder apparative Diagnostik ist eine gute Anamnese (Befragung über Beschwerden), da sie die wichtigsten Informationen liefert und von ihr alles Weitere abhängt. Wer also nur gelernt hat, Tierversuche durchzuführen, wird selbst bei bestem Fachwissen nie ein guter Arzt werden können. Es ist notwendig zu erlernen, ein Vertrauensverhältnis zu Patienten aufbauen zu können.

6. In-vitro-Technologie statt in vivo (Reagenzgläser statt Lebewesen)

Viele Vorgänge im Körper von Lebewesen lassen sich durch Versuche im Reagenzglas eindrucksvoll und gut reproduzierbar darstellen. Menschliche Zelllinien können genutzt werden, um die Wirkung von Zellgiften zu demonstrieren. Indem die Zellen vor und nach Einwirkung des Zellgiftes mikroskopiert werden, erkennt man die Veränderungen. Oder es können Kartoffeln als Quelle genutzt werden, wenn es um die Veranschaulichung der Zellatmung geht. Hier spielen sich die gleichen Mechanismen ab wie bei tierischem Gewebe, daher sind Tierversuche völlig unnötig.


7. In-silico-Technologie statt in vivo (Computer statt Lebewesen)

Computerchips können mit Sensoren ausgestattet werden, die Signale liefern über bestimmte Eigenschaften wie beispielsweise die UV-Lichtempfindlichkeit der eigenen (menschlichen)  Haut mit und ohne Einfluss von Sonnencreme. Die Computerchips lassen sich auch mit der In-vitro-Technologie kombinieren. So können auf einem Computerchip mehrere menschliche Zellkulturlinien verschiedener Organe aufgebracht werden und so beispielsweise die Aufnahme und Verstoffwechselung von Lebensmitteln oder Arzneimitteln simuliert werden.


Für die Verbreitung dieser Alternativen unter den Studierenden und an den Universitäten sind Offenheit und Engagement gefordert. Es hat sich gezeigt, dass selbst Professoren, die viele Jahre mit Tierversuchen gearbeitet haben, heute die obigen Methoden gerne nutzen, da sie einem hohen Niveau entsprechen, didaktisch besser und oft auch preiswerter sind. Dennoch wird es den Studierenden oft schwer gemacht, wenn sie die Vivisektion während ihres Studiums verweigern. Für Deutschland gibt es bereits Verzeichnisse über Hochschulen, die auf Tierversuche verzichten. Ein solches Verzeichnis für die Schweiz ist derzeit im Aufbau. Wir werden Ihnen im nächsten «Albatros» darüber berichten. Wer zu Tierversuchen im Rahmen des Studiums genötigt wird, sollte Kontakt zu Organisationen gegen Tierversuche aufnehmen. Ärzte und Tierärzte sollen Krankheiten heilen und Leid lindern und keines verursachen. Wer während des Studiums zu Tierversuchen gezwungen wird, der droht entweder daran zu zerbrechen (was den Verlust eines wertvollen späteren Arztes bedeuten könnte) oder stumpft ab. Auch das dürfte kaum im Interesse der späteren Patienten sein, denn den «Halbgöttern in Weiss» wird Einfühlungsvermögen abverlangt, wenn sie gute Ärzte sein wollen.

Weitere Informationen zu InterNiche und Tierversuchsalternativen finden Sie unter www.interniche.org (englisch) oder in dem Buch «From Guinea Pig to Computer Mouse» (englisch) von InterNiche, das Sie nach einer kurzen Registration kostenfrei über die InterNiche-Webseite downloaden oder bei uns im Shop als Buch kaufen können.

Dr. med. Alexander Walz
Arzt, wissenschaftlicher und medizinischer Berater der AG STG