Innovative, tierversuchsfreie Forschungsmethoden erhöhen die Sicherheit für die Patienten

Das Bundesamt für Veterinärwesen beabsichtigt eine Revision zweier Verordnungen betreffend Tierversuche. Vorneweg: Es sind mit diesen Verordnungen auch einige kleine grundsätzliche Verbesserungen vorgesehen, für welche die Tierversuchsgegner schon lange kämpfen. Doch es handelt sich, wie leider so oft, um sprichwörtlich kleine Tropfen auf den heissen Stein. Zudem wird auch die Tierversuchslobby nochmals ihren ganzen Einfluss geltend machen, um jede einzelne dieser Änderungen, sollte sie mit Aufwand oder Kosten verbunden sein, wieder rauszukippen. Es wird somit ein zähes Ringen um jede kleine Verbesserung werden!

Die AG STG hat zusammen mit der ATRA eine umfassende Stellungnahme mit detailliert beschriebenen und begründeten Forderungen eingereicht. Um dem langfristigen Ziel der Abschaffung aller Tierversuche einen Schritt näher zu kommen, müssen wir oft um kleine Verbesserungen kämpfen. Grosse Verbesserungen sind dabei leider nicht durchzubringen. Dieses Dossier umfasst einige Forderungen für grundsätzliche Verbesserungen für die Tiere im Laboralltag wie auch wichtige Forderungen, damit die Wissenschaft sich langsam aus ihrem selbst auferlegten Im-Kreis-Drehen lösen könnte.
Das ganze Dossier im «Albatros» abzudrucken, wäre zu viel und wohl auch nicht gerade eine sehr spannende Lektüre. Wir stellen Ihnen hier deshalb zusammengefasst zwei der wesentlichen Forderungen vor und zeigen Ihnen dazu den Istzustand sowie den minimalst geforderten Sollzustand auf. (Selbstverständlich kämpfen wir für die totale Abschaffung aller Tierversuche – jedoch ist es erfolgversprechender, wenn wir auf dem politischen Parkett diesen Weg schrittweise begehen.)

Keine Bewilligung von Tierversuchen ohne Gutachten über die bestmöglichen Methoden zum Gewinn der erhofften Erkenntnisse


Istzustand:
Auf dem Antragsformular für Tierversuche ist unter Ziffer 61 anzugeben, welche tierversuchsfreien Testmethoden in der Literatur bekannt sind, die zu gleichem oder besserem Ergebnis wie der beantragte Tierversuch führen würden. Es ist bekannt, dass diese Angaben meistens komplett fehlen oder dann nur sehr marginal abgehandelt werden. Dies ist nicht verwunderlich: Welches Interesse (wissenschaftliches Interesse kommt leider selten vor) sollte der antragstellende Vivisektor daran haben, seine eigenen Versuche zu hinterfragen?
Trotz der fehlenden Angaben werden die Gesuche stets bewilligt. Begründet wird die Missachtung, dass diese Angaben in den Gesuchen für Tierversuche fehlen, mit Zeitmangel.
Nicht einmal, dass die Bewilligungsbehörden von sich aus abklären, ob es für den beantragten Tierversuch schon längst bessere Testmethoden gäbe. Nein, es wird vom Antragsteller auch nicht gefordert, dass er sich selbst mit wissenschaftlichen Methoden befasst, mit denen das erhoffte Ziel voraussichtlich noch besser erreicht werden könnte.
Die Forderung, dass bereits vorhandene innovative und sicherere Forschungsmethoden bevorzugt werden müssen, fehlt vollständig.


Minimaler Sollzustand:
Innovative tierversuchsfreie Testmethoden sind keine unbedeutende wissenschaftliche Randerscheinung. Im Gegenteil: Sie bedeuten die grösste Chance, damit die medizinisch-wissenschaftliche Forschung endlich wesentliche Fortschritte erzielen kann. Dass dies mit der Methode Tierversuch seit mehreren Hundert Jahren nicht gelang, ist alleine bereits Beweis genug für das Versagen dieser Methode. Das muss von der Schweiz, will sie in der Forschung weiterhin zu den führenden Nationen gehören, endlich erkannt und umgesetzt werden. Dies kann jedoch nur durch eine seriöse und sachliche Auseinandersetzung mit innovativer Forschung erreicht werden. Deshalb muss dies von einer unabhängigen wissenschaftlichen Expertengruppe beurteilt werden.

Tierversuchsantragsteller müssen ein Gutachten einer mit sog. «Alternativmethoden» (innovativen tierversuchsfreien Forschungsmethoden) vertrauten Institution vorlegen. Diese Methoden führen häufig zu schnelleren, preiswerteren und auf den Menschen besser übertragbaren Ergebnissen. In dem Gutachten sollen geeignete tierversuchsfreie Testmethoden genannt werden. Liegen diese vor, so müssen sie zwingend zur Anwendung kommen und die Tierversuche abgelehnt werden. Existieren noch keine anerkannten tierversuchsfreien Testmethoden, so sollen die Tierversuche höchstens dann genehmigt werden, wenn nach neutraler und wissenschaftlicher Beurteilung die Untersuchung anscheinend keinen zeitlichen Aufschub duldet. Dazu muss der Beweis erbracht werden, dass erstens keine tierversuchsfreie Testmethode diesen Versuch ersetzen kann und zweitens, dass der Versuch unabdingbar für das Weiterkommen in der medizinischen Forschung ist.
(Es werden ständig neue und bessere Testmethoden entwickelt. Diese jedoch werden in der Anerkennung bewusst behindert. Deshalb ist deren Anerkennung sehr teuer und dauert bis zu 10 Jahre.)
Fehlen die Angaben über diese Methoden, dann ist das Gesuch abzulehnen. Durch diese Regelung kann sichergestellt werden, dass die Schweiz zu einer weltweit führenden Forschungsnation, insbesondere im Bereich der Medizin, wird und moderne Diagnostik- und Therapieverfahren rascher etabliert werden.

Innovative tierversuchsfreie Forschungsmethoden erhöhen die Sicherheit für die Menschen enorm, was folgende drei Beispiele exemplarisch für viele Fälle veranschaulichen:

a) Das Schmerzmittel Vioxx (Rofecoxib) der Firma Merck hatte ursprünglich anhand von Tierversuchen den Eindruck erweckt, es sei besser verträglich, weil es im Gegensatz zu den bisherigen NSAR-Schmerzmitteln weniger Entzündungen und Geschwüre im Magen-Darm-Trakt und weniger Blutungen verursacht. Im Jahr 2004 musste es jedoch wegen eines der grössten Arzneimittelskandale vom Markt genommen werden, nachdem weltweit etwa 320 000 Patienten einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten hatten und daran sogar etwa 140 000 Menschen gestorben sind.
Topol, E. J.: Failing the public health--rofecoxib, Merck, and the FDA. N Engl J Med, 2004, 351(17), S.1707-1709
Auch für Vioxx wurden zahlreiche Tierversuche vor der Zulassung durchgeführt, die dieses Risiko nicht angezeigt hatten. Hätte man stattdessen kleine Hautbiopsien vom Menschen mit intakten Kapillaren verwendet, wären schon vor der Zulassung die kardiovaskulären Risiken offensichtlich geworden.
biopta: Human Pharmacological Services. In Vitro Pharmacology Screening in Human Tissue. 2008

b) 2006 wurde der neue Antikörper TGN1412 der Firma Boehringer Ingelheim für die Behandlung von Multipler Sklerose, Brustkrebs und Rheuma in Grossbritannien an sechs freiwilligen, gesunden Männern in einer Phase-1-Studie getestet. Zuvor hatte man unter anderem Affenversuche mit einer 500x höheren Dosis durchgeführt und den Wirkstoff für unbedenklich befunden. Die Reaktion beim Menschen war jedoch verheerend. Alle sechs Männer erlitten ein Multiorganversagen und mussten wochenlang auf der Intensivstation behandelt werden, einer von ihnen konnte erst nach 14 Wochen das Spital wieder verlassen.
Suntharalingam, G.; Perry, M. R.; Ward, S.; Brett, S. J.; Castello-Cortes, A.; Brunner, M. D. und Panoskaltsis, N.: Cytokine storm in a phase 1 trial of the anti-CD28 monoclonal antibody TGN1412. N Engl J Med, 2006, 355(10), S.1018-1028
Tests an menschlichen Geweben hätten die katastrophale Wirkung von TGN1412 voraussagen können.
Drugs tests on trial. Nature, 2006, 440(7087), S.970

c) Als 1957 das Medikament Thalidomid (Contergan) auf den Markt kam, versandte die Herstellerfirma Grünenthal ca. 40 000 Rundschreiben an Ärzte und Apotheker, in denen es als das beste Schlafmittel für Schwangere und stillende Mütter bezeichnet wurde. Als «wirklich neues Produkt» habe man seine Sicherheit durch ausgedehnte Tierversuche besonders gründlich überprüft! So wurde es zum beliebtesten Schlafmittel der damaligen Zeit. In Deutschland schlief jeder Dritte abends mit Contergan ein.
Timmermann C. Die Nachtseite des Wirtschaftswunders. Zum Einschlafen nahm 1961 jeder dritte Deutsche Contergan: Eine Bilanz nach 40 Jahren. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 2001 2001/11/25.
Drei Jahre nach Markteinführung lagen zahlreiche Meldungen über Fehlbildungen der Arme und Beine bei Kindern vor, deren Mütter während der Schwangerschaft Contergan eingenommen hatten. Insgesamt wurden etwa 10 000 verstümmelte Kinder geboren.
Thomann, Klaus-Dieter: DIE CONTERGAN-KATASTROPHE. Die trügerische Sicherheit der «harten» Daten. Deutsches Ärzteblatt, 2007, 104(41), S.2778-2782
Wie konnte es dazu kommen? Der Mensch ist gegen Contergan sechzigmal empfindlicher als die Maus, hundertmal als die Ratte, zweihundertmal als der Hund und siebenhundertmal empfindlicher als der Hamster.
Stillperiode, Beratungsstelle für Medikamentenanwendung in Schwangerschaft und: Speziesunterschiede der Teratogenität von Thalidomid. Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, 2006

Zentrales Studienregister zur Erfassung aller Tierversuche


Istzustand:
Bisher verschwinden die Protokolle über die Tierversuche in den Archiven der kantonalen Veterinärämter ohne Kontrollfunktion von wissenschaftlichen Experten, der Öffentlichkeit oder der Tierrechtsvertreter. Dies obwohl das Bundesamt für Veterinärwesen verkündet: «Es ist die Absicht des Gesetzgebers, im Bereich der Tierversuche Transparenz zu schaffen und damit eine sachliche Diskussion über dieses kontroverse Thema zu fördern.»
BVET, Zwischen- und Abschlussberichte über Tierversuche: Erläuterungen zum Formular C
Jedoch ist es ohne die zentrale Erfassung und Auswertung von Tierversuchen unmöglich, auf das dadurch angeblich gewonnene Wissen zurückzugreifen. Somit verkommt das Argument des angeblichen Nutzens von Tierversuchen vollkommen zur Farce.


Minimaler Sollzustand:
Alle Tierversuche müssen in einem zentralen Studienregister erfasst werden. In dem Register sind alle geplanten und durchgeführten Studien mit Tierverbrauch aufgelistet. Die kantonalen Behörden können somit im Genehmigungsverfahren überprüfen, ob es bereits ähnliche Tierversuche gab, sodass der aktuell beantragte Tierversuch redundant und daher verzichtbar und somit abzulehnen ist. Zudem können Forscher andere Arbeitsgruppen finden, um so bei grösseren Forschungsvorhaben Synergieeffekte zu schaffen. Bisherige Praxis ist, dass nur anscheinend positiv ausfallende Tierversuchsergebnisse in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert werden. Jedoch gehen gerade aus Tierversuchen, welche keinen Erkenntnisgewinn erbrachten oder Abweichungen zu der erwarteten Hypothese ergaben, wichtige Informationen hervor. Da sich den Tierversuchen meist klinische Studien anschliessen, gefährden nicht publizierte präklinische Studien (negative Tierversuchsergebnisse) die späteren klinischen Studien (Studien an Menschen). Durch die Veröffentlichung kann also der Patientenschutz erhöht werden.
Ein solches Register wurde und wird bereits öfters ansatzweise gefordert:
  • Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften fordert‚ dass der durch den persönlichen Einsatz von Patienten ermöglichte Erkenntnisgewinn uneingeschränkt für die Gesundheitsversorgung zur Verfügung steht.
  • Die «Schweizerische Ärztezeitung» hält fest‚ dass wer an einer Studie Risiken auf sich nimmt, wenigstens erwarten darf, dass diese der Forschung von Nutzen ist und auch publiziert wird.
  • Das «New England Journal of Medicine» fordert, dass zukünftigen Versuchsprobanden alle Informationen früherer Versuche zugestanden werden müssen, damit sie ihr eigenes Risiko besser abschätzen können.
Die konsequente Auswertung negativ ausfallender Tierversuche würde rasch dazu führen, dass diese verboten werden, da die Ergebnisse gesamthaft gesehen noch weitaus katastrophaler sind als bereits bekannt. Die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA hat errechnet, dass 92% aller im Tierversuch als wirksam und sicher beurteilten Wirkstoffe in angeschlossenen Untersuchungen an Menschen wegen schwerwiegender Nebenwirkungen oder fehlendem Nutzen gar nicht erst zugelassen werden.
Innovation Stagnation. Challenge and Opportunity on the Critical Path to New Medical Products. U.S. Department of Health and Human Services. Food and Drug Administration (FDA), 2004, S.8

Klinische Studienregister (bei Forschungen an Menschen) sind längst Realität, um die genannten Vorteile zu erreichen. Beispielsweise das Register des U.S. National Institutes of Health unter http://clinicaltrials.gov. Dieses Beispiel belegt nachhaltig, dass durch die Bekanntgabe der Informationen keinerlei Nachteile für die Forscher resultieren, auch wenn die Öffentlichkeit und andere Forschergruppen frühzeitig von den Vorhaben erfahren.
Um die medizinische Wissenschaft effektiv weiterzubringen, ist ein zentrales Register zur Erfassung und Auswertung von Tierversuchen und Tierversuchsergebnissen unabdingbar.

Klinisches Studienregister: http://clinicaltrials.gov






























  Dr. med. Alexander Walz Arzt, wissenschaftlicher und medizinischer Berater der AG STG