Viagra - Die blaue Pille
Wie viele Entdeckungen ein Produkt des reinen Zufalls
Dies ist eine Geschichte über männliche Potenz auf dem Mount Everest, über die Geldgier der Pharmaindustrie und über unnütze Tierversuche. Der Pharmakologe Peter Ellis suchte mit seinem Forschungsteam bei der Firma Pfizer nach einem neuen Wirkstoff zur Behandlung von Bluthochdruck. Sie entwickelten Sildenafilcitrat, einen spezifischen Phosphodiesterasehemmer, und glaubten, damit einen grossen Durchbruch erzielt zu haben. Später zeigten sich jedoch bei anderen Substanzen bessere Resultate, so wurde fortan ein neues Einsatzgebiet gesucht und gefunden: Angina pectoris, also Schmerzen aufgrund von Durchblutungsstörungen am Herzen, welche schlimmstenfalls zu einem Herzinfarkt führen. Trotz erfolgversprechender Tierversuche zeigten sich bei ersten Verträglichkeitstests an jungen gesunden Männern unerwartete Nebenwirkungen. Sie wollten die Studienmedikation nicht mehr freiwillig zurückgeben. Auf Befragung stellte sich dann heraus, dass sie stärker und länger anhaltende Erektionen hatten. Daraufhin wurde das Forschungsteam um Urologen erweitert und ab 1992 das Forschungsziel abermals geändert. Man nahm sich nun der erektilen Dysfunktion, also Erektionsstörungen, an. 1998 wurde der Wirkstoff als Viagra zugelassen und bescherte dem Hersteller schon im ersten Jahr einen Umsatz von 788 Millionen Dollar. Dies reichte Pfizer jedoch nicht und so wurde unter anderem bei Bergsteigern auf dem Mount Everest untersucht, ob es bei Einnahme des Wirkstoffes zu einer Erweiterung der Lungengefässe kommt, was schliesslich auch zur Zulassung zur Therapie der Krankheit pulmonalarterielle Hypertonie führte. Um diese Patienten jedoch nicht zu stigmatisieren, wurde der gleiche Wirkstoff mit neuem Etikett versehen und heisst in der Schweiz nicht Viagra, sondern Revatio.
Und die Moral der Geschichte?
Wie so oft haben Tierversuche versagt und nur der klinischen Beobachtung von Menschen ist überhaupt die lukrative Einnahmequelle für Pfizer zu verdanken.Die geschilderte Vorgehensweise ist bei Pharmakonzernen durchaus üblich. Wenn sich ein Medikament beim ursprünglich vorgesehenen Verwendungszweck nicht bewährt, sucht man nach neuen Indikationen, um so doch noch satte Gewinne einfahren zu können. Ein anderes prominentes Beispiel ist der Wirkstoff Thalidomid (Contergan), der ebenfalls ausgiebigst in Tierversuchen getestet und für unbedenklich befunden wurde. Deshalb wurde Thalidomid von der Marketingabteilung der Firma Grünenthal als sicherstes Schlafmittel der Welt sogar Schwangeren angepriesen. Die Konsequenz daraus ist bekannt: Tausende Kinder wurden mit entstellten Extremitäten geboren. Der Vertrieb wurde nach langem Hin und Her schliesslich gestoppt. Inzwischen ist Thalidomid jedoch wieder im Einsatz, so z.B. bei der Krebserkrankung Multiples Myelom und der Infektionskrankheit Lepra. Diese beiden neuen Einsatzgebiete wurden im Zufallseinsatz bei Menschen entdeckt.
In diesem Sinne ärgern Sie sich nicht, wenn Ihr Auto einmal kaputtgehen sollte, sondern überlegen Sie einen neuen Einsatzzweck. Es könnte ja gut als Treibhaus für Ihre Radieschen- und Salatkultur herhalten oder mit einer eingebauten Sauna ein Wellnessparadies bieten.
Dr. med. Alexander Walz
Arzt, wissenschaftlicher und medizinischer Berater der AG STG