«Auch 15 Jahre nach den Tierversuchen war keine einzige Umsetzung in der Humanmedizin nachweisbar»
Interview mit Manfred Völkel, Mitglied einer Tierschutzkommission, ehem. Dozent an der HWK Nürnberg, Studien-Analyst im Bereich der tierexperimentellen medizinischen Forschung.AG STG: Wie sieht Ihr persönliches Verhältnis zu Tieren aus? Welche Rechte fordern Sie für Tiere?
Völkel: Tiere haben, wie wir Menschen, Bedürfnisse. Sie sind Mitgeschöpfe, lebende und fühlende Wesen dieser Erde und können, wie wir Menschen, Hunger und Durst, Angst und Freude, Leid und Schmerz empfinden.
Ich wünsche den Tieren, dass ihnen von dem geistig überlegenen Menschen endlich der Schutz des eigenen Lebensraumes gewährt sowie Achtung und Wertschätzung entgegengebracht werden.
AG STG: Würden Sie bitte kurz Ihren persönlichen Weg zum Tierschutz beschreiben?
Völkel: Die Bekanntschaft mit dem Münchner Rechtsanwalt Dr. Andreas Grasmüller hat mich sensibilisiert, mich gegen Tierversuche einzusetzen. Er fertigte die ersten Filme aus Tierversuchslabors an. Durch seine guten Kontakte zum Bayerischen Rundfunk und zum Südwestfunk Baden-Baden liefen seine Dokumentationen regelmässig auf beiden Fernsehsendern.
Ich bin mit Tieren aufgewachsen und weiss, dass Medikamente der Hausapotheke, wie gängige Schmerzmittel, nicht so ohne Weiteres auch bei Katzen und Hunden angewendet werden dürfen, ja dass diese Medikamente oft sehr gefährlich für die Tiere sein können. Das brachte mich zum Nachdenken: Wenn das so ist, dann kann man doch auch nicht so ohne Weiteres Medikamente für den Menschen an Tieren entwickeln.
AG STG: Sie haben als Erster tierexperimentelle Versuchsvorhaben von der Antragstellung bis zur Publizierung analysiert. Was hat Sie dazu veranlasst? Was hat Sie dabei besonders interessiert?
Völkel: Die bis heute wiederkehrenden Begründungen der gleichen Arbeitsgruppen zur Unerlässlichkeit, indem die beantragten Tierversuche der Aufklärung der Ursachen und der Erforschung neuer Therapien dienen sollen, weil die bisherige Therapie ausgesprochen schlecht ist.
Von Interesse war jetzt, ob die Tierexperimentatoren ihr postuliertes Ziel, die Aufklärung der Ursachen und Erforschung neuer Therapien, tatsächlich erreicht haben.
AG STG: Nach welchen Kriterien haben Sie die Versuchsvorhaben ausgewählt?
Völkel: Zur Untersuchung sind alle tierexperimentellen Versuchsvorhaben, sowohl der Grundlagenforschung als auch der angewandten Forschung, gekommen. Alle Versuchsvorhaben, die in einer Kommission von Januar 1991 bis Dezember 1993 eingereicht worden sind, als Ziel die Erforschung neuer Therapien hatten und denen von der Mehrheit der Kommissionsmitglieder eine Genehmigung ausgesprochen worden ist. Basis des notwendigen Datenmaterials stellten die gutachterlichen Stellungnahmen dar.
AG STG: Mit welcher Methodik sind Sie bei dieser Studie vorgegangen?
Völkel: Wir haben in einer ersten Studie untersucht, wie die Antragsteller die gesetzlich geforderten Auskünfte bezüglich der Begründung für die Wahl der Tierart, der Darlegungen zur Schmerzbelastung, zur Unerlässlichkeit und ethischen Vertretbarkeit des Versuchsvorhabens beantwortet haben.[1]
In der nächsten Studie wurde weiter untersucht, inwieweit Ergebnisse aus diesen tierexperimentellen Forschungsvorhaben veröffentlicht und welche medizinischen Erkenntnisse publiziert worden sind. Dazu wurde als Erstes eine Datenbankrecherche durchgeführt, um die aus den Tierversuchen hervorgegangenen Primärpublikationen zu erhalten.[2]
Die Bewertung selbst erfolgte in zwei Abschnitten: Im ersten Schritt wurde die Belastung der Versuchstiere mit den Angaben des Antragstellers verglichen. Im zweiten Schritt wurde untersucht, ob die Tierversuche tatsächlich zu neuen Therapien führten.[3]
AG STG: Welche Ergebnisse haben Ihre Studien geliefert?
Völkel: Es hat sich gezeigt, dass der Tierversuch eine völlig obsolete Forschung darstellt.
Tierexperimentatoren tun sich offensichtlich schwer, wenn es darum geht, die maximal erwartete Schmerzbelastung der Versuchstiere darzulegen. Die Ausführungen zur ethischen Vertretbarkeit und zur Übertragbarkeit von Versuchen sind vielfach völlig unzureichend.[1]
Wären bei den Tierversuchsanträgen die gesetzlichen Anforderungen nach der Unerlässlichkeit strikter angewendet worden, dann hätten rund die Hälfte aller tierexperimentellen Versuchsvorhaben schon alleine deshalb gar nicht genehmigt werden dürfen.[1]
Auch die klinische Auswertung zeigte ein ernüchterndes Bild von dem wahren klinischen Wert von Tierversuchen. Auch 15 Jahre nach den Tierversuchen war keine einzige Umsetzung in der Humanmedizin nachweisbar. Keine einzige am Tiermodell entwickelte Therapie konnte klinisch umgesetzt werden. Entweder war kein therapeutischer Effekt nachweisbar oder die Befunde am Menschen widersprachen sogar den Ergebnissen am Tier.[2, 3]
Verleihung des Posterpreises LINZ 2004 anlässlich des MEGAT-Kongresses an der Uni in Linz
an Prof. Dr. Lindl (links) und Manfred Völkel für ihre Evaluierungsstudie
an Prof. Dr. Lindl (links) und Manfred Völkel für ihre Evaluierungsstudie
AG STG: Die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA hat errechnet, dass 92% aller Wirkstoffe, die in Tierversuchen als wirksam und sicher beurteilt wurden, aufgrund der angeschlossenen Untersuchungen am Menschen wegen schwerwiegender Nebenwirkungen oder fehlendem Nutzen gar nicht erst zugelassen werden. Auch Ihre Studie kommt zu etwa gleich fatalen Ergebnissen über Tierversuche. Weshalb finden diese Studien kaum Berücksichtigung?
Völkel: Hierfür gibt es viele Gründe. Wer sollte das schon berücksichtigen? Die Prüfung von Giftigkeit und Verträglichkeit chemischer Substanzen an Tieren ist eine eingeführte und behördlich anerkannte Methode. Kein Mensch hinterfragt, ob die Daten für den Menschen auch stimmen. Die Prüfung für den humanen Bereich wird an Menschen vorgenommen. Hierfür gibt es für Medikamente die klinischen Phasen I bis III. Wobei in der Regel bei der Testung am Menschen mit dem 500. Teil der Mausdosis (mg/kg Körpergewicht) begonnen wird.
Das Umsteigen von den obsoleten und mehr als fragwürdigen tierexperimentellen Testungen auf zeitgemässe, moderne Testmethoden würde ein neues Denken, neue Laboreinrichtungen und vor allem neue Arbeitsfelder bedingen. Tierexperimentatoren würden überflüssig und müssten durch Zellkulturforscher, Mikrobiologen und Computerfachleute ersetzt werden. Tierexperimentatoren sitzen aber an den Schaltstellen und werden diese Situation solange es geht verhindern.
AG STG: Weshalb wird die Entwicklung und Einführung von tierversuchsfreien Testmethoden vom Staat nicht viel mehr gefördert?
Völkel: Das liegt daran, dass
- die Fördergelderverteilung fest in der Hand tierexperimenteller Wissenschaftler liegt
- die Tierexperimentatoren mit allen Mitteln für die Beibehaltung der veralteten Lehrmethode «Tierversuch» kämpfen
- die «alternativen», tierversuchsfreien Forschungsmethoden u.a. ein völlig neues Konzept beinhalten
- diese tierversuchsfreien Forschungsmethoden ein hohes technisches Wissen erfordern und
- Tierversuche eine alteingeführte Testmethode darstellen, die ausserdem noch einfach zu bilanzieren ist.
AG STG: Universitäten sollten sich eigentlich mit modernen, innovativen Forschungsmethoden befassen. Also Forschung für die Zukunft betreiben.
Die Erfahrung zeigt aber, dass es oft die Universitäten sind, die unbedingt an der veralteten Methode Tierversuch festhalten. Weshalb diese Diskrepanz zwischen innovativer Forschung und praktischer universitärer Tierversuchspolitik?
Völkel: Es gibt keine Qualitätskontrolle. Die einzige Beurteilung dieser Forschung besteht im Festhalten der Summe der aus den Tierversuchen hervorgegangenen Veröffentlichungen. Dass Tierversuche eine völlig veraltete Forschungsmethode darstellen, spielt dabei keine Rolle. Darüber hinaus stellen die ergrauten Eminenzen, Institutsleiter und Dekane eine uneinnehmbare Festung dar. Wer in der Universität weiterkommen will – welcher Student oder welcher Wissenschaftler will das nicht – der muss sich diesen Leuten unterwerfen, ob er will oder nicht.
Modern denkende Wissenschaftler haben deshalb wenig Chancen, bei der derzeit herrschenden Tierversuchsmafia etwas ändern zu können oder gar auf der Karriereleiter weiterzukommen.
Es ist an der Zeit, dass das bisherige Uni-Ranking und die Qualität eines Wissenschaftlers auch im Bereich der medizinischen Forschung nicht mehr an der Anzahl der Publikationen, sondern an dem Erreichten gemessen werden.
AG STG: Ein abschliessender Satz:
Völkel: Auch wenn der eine oder andere Tierversuch in der Vergangenheit einen wissenschaftlichen Nutzen erbracht hat, gilt die alte Weisheit: Viele Wege führen an das Ziel. Eine moderne und zeitgemässe Forschung kann, ja muss auf Tierversuche verzichten. Wenn wir endlich Fortschritte in der Medizin wollen, dann müssen wir die völlig veraltete und unwissenschaftliche Methode Tierversuch schnellstens loswerden.
Deshalb fördert jeder, der sich für die Reduzierung der Tierversuche einsetzt, selbstredend eine am Menschen orientierte, zeitgemässe Forschung und ermöglicht klinisch forschenden Ärzten zusammen mit modern ausgerichteten Wissenschaftlern eine humane Forschung zum Wohle des Menschen – letztlich auch zum eigenen Wohlergehen!
AG STG: Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben. Viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit.
Manfred Völkel - Zur PersonDas Herz von Manfred Völkel (69) schlägt für die Tiere, aber auch für den kranken Menschen. Er setzt sich gegen Tierversuche ein wie auch gegen die Jagd und das Angeln, gegen das hobbymässig aus Lust betriebene Töten von Tieren.Er ist als Vertreter der Tierschützer (Menschen für Tierrechte Nürnberg e.V.) seit 20 Jahren Mitglied in der Tierschutzkommission Nordbayern der Regierung von Unterfranken in Würzburg. Diese Kommission ist zuständig für die tierexperimentellen Versuchsvorhaben der Universitäten von Erlangen-Nürnberg, Regensburg und Würzburg sowie für die im nordbayerischen Raum ansässigen Pharmaunternehmen. Er besitzt eine Wohnung hoch über dem Gardasee. Mit seinen zwei Hunden, die beide aus einem Tierheim stammen, unternimmt er ausgedehnte Spaziergänge. Er verzichtet auf den Verzehr tierischer Produkte. Abends trifft er sich oft mit Freunden bei Spaghetti und Rotwein. Gerne liest er Sachbücher, die sich mit der Natur beschäftigen. |
Literatur
[1] Völkel, Manfred und Labahn, Dirk (1997). Die Belastung der Versuchstiere nach Einschätzung der Antragsteller von Versuchsgenehmigungen – Forderung von Kriterien zur Rechtsanwendung. In H. Schöffl, H. Spielmann und H.A. Tritthardt (Hrsg.) Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen. Forschung ohne Tierversuche 1996 (395-405) Wien, New York: Springer-Verlag.
[2] Lindl, T., Weichenmeier, I., Labahn, D., Gruber F.P. und Manfred Völkel (2001). Evaluation von beantragten und genehmigten tierexperimentellen Versuchsvorhaben in Bezug auf das Forschungsziel, den wissenschaftlichen Nutzen und die medizinische Relevanz. ALTEX 18, 171-178.
[3] Lindl, T., Kolar, R. und Völkel, M. (2005). Tierversuche in der biomedizinischen Forschung. Eine Bestandsaufnahme der klinischen Relevanz von genehmigten Tierversuchsvorhaben. ALTEX 22, 143-151.