Daniel Vasella (Novartis) gegen Erwin Kessler (VgT) - Darf man Tierversuche als Tierquälerei und Massenverbrechen bezeichnen?

Darf man Tierversuche als Tierquälerei und Massenverbrechen bezeichnen?

Novartis-Chef Daniel Vasella reichte gegen VgT-Präsident Erwin Kessler eine Strafklage wegen Verleumdung ein. Ebenfalls reichte er eine Zivilklage auf Unterlassung gegen den VgT (Verein gegen Tierfabriken) und Erwin Kessler ein. Dem VgT soll verboten werden, Tierversuche als Tierquälerei oder als Massenverbrechen zu bezeichnen. Erwin Kessler hat uns angefragt, ob wir eine medizinisch-wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zum angeblichen Nutzen von Tierversuchen verfassen würden, um damit seine Verteidigung zu unterstützen.

Selbstverständlich unterstützen wir diesen Prozess. Erwin Kessler mag umstritten sein, aber es geht in diesem Prozess weder um seine Person noch um den VgT. Es geht einzig um das Recht, dass man Tierversuche auch weiterhin als das bezeichnen darf, was sie sind: als Tierquälerei sowie als (noch legale) Massenverbrechen. Wenn Vasella gewinnt, dann könnten in Zukunft immer mehr Klagen gegen alle, die Tierversuche kritisch hinterfragen, eingereicht werden. Und Organisationen wie die AG STG, die Tierversuche nicht nur als leidbringend für Tiere, sondern auch als forschungs- und menschenfeindlich entlarven, würden sich möglicherweise einer riesigen Prozesswelle ausgesetzt sehen.
Dr. med. Alexander Walz hat in einem 18-seitigen Statement unzählige wissenschaftliche Fakten zusammengetragen, die einmal mehr eindrücklich beweisen, dass Tierversuche nicht nur kaum etwas zu den medizinischen Fortschritten beigetragen haben, sondern dass sie diese gar verhindern. Ebenfalls geht er detailliert auf die einzelnen Behauptungen von Novartis-Chef Vasella ein.

Leider fehlt uns die Möglichkeit, dieses Statement im «Albatros» vollständig abzudrucken. Sie können das Statement jedoch im Internet durchlesen oder downloaden (Link am Ende dieses Berichts).
Im Folgenden veröffentlichen wir einige Auszüge, die jedoch nur einen kleinen Einblick in das Statement ermöglichen. Wir haben uns für diesen Einblick diesmal nicht auf die medizinisch-wissenschaftlichen Fakten konzentriert, sondern drucken ein paar Antworten auf die Behauptungen von Vasella ab.

Statement der AG STG  zur Vorlage beim Bezirksgericht Münchwilen (Auszüge)

Als Arzt mit jahrelanger Forschungserfahrung und zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen sowie als Arzt in oberärztlicher Funktion an einer renommierten medizinischen A-Klinik eines Zürcher Spitals wurde ich um eine medizinisch-wissenschaftliche Stellungnahme zu den von den Klägern aufgeworfenen Behauptungen gebeten.
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Zur Aussage, Novartis habe eine global gültige Tierschutzrichtlinie in Punkt 38

Die Tatsache, dass ein solches Papier existiert, bedeutet nicht zwangsläufig bestmöglichen Schutz von Tieren.
Insbesondere die Behauptung im Unterpunkt 3: «Novartis stellt sicher, dass die Tiere in allen Betrieben menschenwürdig behandelt und artgerecht gehalten werden» ist offenkundig falsch, denn menschenwürdig wäre ein Leben in Freiheit und nicht in kleinen Käfigen. Menschenwürdig ist es sicher auch nicht, giftige Substanzen bei vollem Bewusstsein verabreicht zu bekommen oder tödliche Eingriffe über sich ergehen lassen zu müssen. Wären diese Tierversuche menschenwürdig, könnte sich Herr Vasella ja selbst zur Verfügung stellen, wie es in der Vergangenheit viele aufrichtige Wissenschaftler taten, und er müsste somit nicht länger auf Tiere zurückgreifen. Wären diese Tierversuche menschenwürdig, dann stellte sich auch die Frage, warum Novartis keine Kontrollen seiner Vivisektions-Laboratorien z. B. durch Tierschützer zulässt, sondern diese durch Hochsicherheitsanlagen absichert. Die bisherigen amtlichen Kontrollen sind in keiner Weise ausreichend, wie das BVet selbst anlässlich einer Anhörung zu einer Reform der entsprechenden Gesetzgebung hat verlauten lassen.
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Zur Behauptung, Novartis sei Mitglied der Interpharma und dieser Verband hätte mit grosser Anstrengung an der Reduktion der Zahl und des Schweregrads von Tierversuchen gearbeitet, in Punkt 39

Die sog. Alternativforschung zu unterstützen stellt eine Verpflichtung dar, die seit 1981 im Tierschutzgesetz verankert ist, und ist daher nicht als Generosität von Novartis und Herrn Vasella zu werten. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, gründete der Bund 1987 die Stiftung Forschung 3R. Dieser gehören Vertreter von National- und Ständerat, von Interpharma (dazu gehören insbesondere die Pharmagesellschaften Novartis, Roche und Merck Serono) und der Bundesverwaltung (BVet) an. Die Stiftung könnte in diesem Bereich somit eine interessante Rolle spielen. Nach rund zwanzigjähriger Tätigkeit feierte man 2008 ein Jubiläum. Zu feiern gab es indes wenig Anlass angesichts der negativen Bilanz. Der Bundesrat unterstützt die Entwicklung neuer Alternativmethoden in der Schweiz mit einer sehr geringen Summe von CHF 800 000.– pro Jahr.[37] Sehr gering deshalb, weil der Schweizerische Nationalfonds (SNF) im Bereich der medizinischen Forschung vom Bund mit mehreren hundert Millionen Franken pro Jahr unterstützt wird.[38] Mit der Gründung der Stiftung 3R hat der Bund zudem vorgeschlagen, Interpharma solle die Hälfte der budgetierten Summe übernehmen. Interpharma erhielt im Gegenzug zur jährlichen Beteiligung von CHF 400 000.– ein nahezu unbeschränktes Einsichtsrecht in alle – als innovativ erachteten – Projekte, die der Stiftung vorgelegt werden.
Darüber hinaus lässt sich Interpharma von der Stiftung für die eigenen Studien bezahlen. Angesichts der Tatsache eines Unternehmens-Reingewinnes bei Novartis von über 8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2008 erscheint es geradezu als beschämend, dass sich Interpharma auf eigene Rechnung aus der kleinen Kasse dieser Stiftung bedient.[39]
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Zur Behauptung, es würden von den Klägern keine Tierquälereien und Massenverbrechen begangen, in Punkt 42

Aus den vielen vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass Novartis und ihr CEO Daniel Vasella zwar verkünden, Tierschutz zu betreiben, tagtäglich jedoch zahlreiche Tierversuche durchführen (lassen), die problemlos verzichtbar wären. Ja mehr noch: dass es die Menschheit weiterbringen würde, wenn Tierversuche unterlassen würden, da sie auf Menschen nicht oder nur eingeschränkt übertragbar sind und daher falsche Sicherheit vortäuschen. Zahlreiche historische und aktuelle Beispiele haben dies illustriert. Einige renommierte Wissenschaftler, auch aus Pharmaindustriekreisen, wurden zitiert, welche sich klar für eine Abkehr von Tierversuchen ausgesprochen haben.

Wenn nun also keine absolut zwingende medizinisch-wissenschaftliche Notwendigkeit für Tierversuche besteht und Tierversuche von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden, diese aber dennoch durchgeführt werden, dann muss es Organisationen wie dem VgT zugestanden werden, diese Praktiken als Massenverbrechen zu betiteln. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch wird eine Handlung, welche gegen die Werte einer Gesellschaft verstösst, als Verbrechen bezeichnet. Der «natürliche» Verbrechensbegriff unterliegt dabei einer immanenten Subjektivität. Eine Masse liegt bei Tierversuchen offenkundig vor, wenn alle 40 Sekunden ein Tier in einem Tierversuch in der Schweiz stirbt.
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Fazit

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Es ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens, zu beurteilen, ob die genannten Vorgänge bei Novartis Verbrechen sind. Es ist Gegenstand des Verfahrens, ob kritische Menschen wie Dr. Kessler diese Vorgänge aufgrund ihres ethischen Verständnisses als Verbrechen bezeichnen dürfen.
Alleine das Beispiel von Rouillers tödlichen Affenversuchen (mit Beteiligung von Novartis), welche aus Sicht anderer Wissenschaftler völlig nutzlos für Menschen waren, rechtfertigt meines Erachtens diese Aussage. Denn wenn jemand aus überwiegendem Eigennutz (Erlangung des Doktortitels) derartige Versuche durchführt, liegen nach gängiger Auffassung niedere Beweggründe vor, was zusammen mit der vorsätzlichen Tötung den Tatbestand des Mordes erfüllt, welcher allgemein als Verbrechen gewertet wird.

Zu diesem Schluss komme ich als Arzt, welcher jeden Tag am Patientenbett die Folgen fehlgeleiteter medizinischer Forschung ertragen und vermitteln muss, und nicht als Beauftragter von Dr. Kessler, denn weder habe ich diesen jemals getroffen, noch habe ich jemals für den VgT gearbeitet.

Dr. med. Alexander Walz
Oberarzt und medizinisch-wissenschaftlicher Berater der AG STG

Weiterführende Links:

Vollständiges Statement inklusive Quellenangaben: http://www.agstg.ch/downloads/diverses/2010-01-28_stellungnahme_ag-stg_prozess_vasella-gegen-kessler.pdf

Internetseite vom VgT/Erwin Kessler mit vielen Informationen zu den Klagen:
http://vgt.ch/doc/vasella/index.htm