Eine Tiertragödie unbeschreiblichen Ausmasses

Die EU plant unter dem Namen REACH ein Testprogramm, bei dem rund 30’000 Chemikalien, die bereits seit mehr als 20 Jahren auf dem Markt sind, auf ihre Giftigkeit geprüft werden sollen – und zwar grösstenteils in Tierversuchen. Dies bedeutet für viele Millionen Tiere entsetzliches Leid und einen qualvollen Tod. Zudem sind Tierversuche vollkommen ungeeignet, Mensch und Umwelt vor schädlichen Chemikalien zu schützen. Wir fordern, REACH gänzlich tierversuchsfrei durchzuführen.

Warum sollen die alten Chemikalien getestet werden?

Ob in der Kleidung, in Lebensmitteln, in Wandfarbe oder in Kunststoffgegenständen – Chemikalien sind in unserer Konsumgesellschaft allgegenwärtig. Vor 1981 konnten chemische Stoffe auf den Markt gebracht werden, ohne dass hierfür bestimmte Tests vorgeschrieben waren. Doch seit dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie 67/548/EEC müssen alle Chemikalien getestet, klassifiziert und entsprechend gekennzeichnet werden. Einige der insgesamt 100’106 Alt-Chemikalien sind mehr oder weniger giftig, bei vielen sind mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt noch unbekannt. Diese Datenlücke soll nun gefüllt werden. Auf den ersten Blick ein löbliches Unterfangen. Auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch eine Tiertragödie unbeschreiblichen Ausmasses und eine massive Irreführung der Verbraucher, da Tierversuche nicht zur Risikoabschätzung dieser Stoffe beitragen können.

Wie soll das Chemikalien-Programm ablaufen?

Am 7. Mai 2003 wurde von der EU-Kommission der Entwurf zu einem Regelwerk für Chemikalien veröffentlicht. Kern des neuen Regelwerkes ist das sogenannte REACH-System (Registration, Evaluation
REACH: Mit Hunderten Hasen wurde auf das Leid der Versuchstiere aufmerksam gemacht
REACH: Mit Hunderten Hasen wurde auf das Leid
der Versuchstiere aufmerksam gemacht
and Authorisation of Chemicals). Alle Firmen, die eine Chemikalie in einer grösseren Menge als einer Tonne pro Jahr produzieren oder importieren, müssen für jeden Stoff zunächst einen «Chemikalien-Sicherheitsbericht» vorlegen. Dafür sind, unabhängig von der produzierten Menge einer Chemikalie, einige Tierversuche vorgesehen. Die meisten Chemikalien (mit Ausnahme von einigen wenigen Substanzen wie Sonnenblumenöl oder Vitamin C) werden dann unter dem REACH-Programm geprüft. Für die Registrierung müssen die Firmen einen Registrierungsantrag stellen, der Daten aus dem Sicherheitsbericht beinhaltet und eine Auflistung, wie weitere Daten gewonnen werden sollen. Gefordert werden Daten über die Eigenschaften des Stoffes, dazu gehören chemische und physikalische Eigenschaften, aber auch Informationen über ihre Giftigkeit für Mensch und Umwelt. Zuständig für die Registrierung sind eine noch einzurichtende EU-Behörde und Behörden der Mitgliedsstaaten. Die Behörden können weitere Tests verlangen oder vorgeschlagene Tests streichen.

Wie sollen die Chemikalien getestet werden?

Die Chemikalien werden je nach produzierter Menge in Volumenklassen eingeteilt. Für jede der vier Volumenklassen sind Standardtests und eine Deadline, bis wann die Registrierung abgeschlossen sein soll, vorgesehen. Je grösser die Menge, in der eine Substanz produziert wird, desto schneller soll die Registrierung erfolgen und desto mehr Daten, d.h. desto umfangreichere Tierversuche, werden verlangt.

Volumen Tests nach Anlage
Anzahl Chemikalien
Zeit   X*
Tiere pro Stoff
Tiere gesamt
1 - 10 Tonnen
V 20'000
11 Jahre
(2017?)
30 600'000
10 - 100 Tonnen
V+VI
4'600 11 Jahre
(2017?)
1'034 4'756'400
100 - 1000 Tonnen
V+VI+VII 2'900 6 Jahre
(2012?)
2'672 7'748'000
> 1000 Tonnen
V+VI+VII+VIII 2'600 3 Jahre
(2009?)
3'232 8'403'200
Dieser auf dem Richtlinien-Entwurf der EU basierenden Berechnung zufolge werden mindestens 20 Millionen Tiere, Fische und wirbellose Tiere nicht einmal eingerechnet, für das Chemikalien-Programm qualvoll sterben.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin geht sogar von bis zu 45 Millionen Tieren aus, wenn nicht in genügendem Masse tierversuchsfreie Methoden eingesetzt bzw. vorhandene Daten ausgewertet werden.


Welche Tests sollen durchgeführt werden?

Folgende Standardtests sollen für die jeweilige Volumenklasse durchgeführt werden. Je nach Substanz können diese auch durch weitere Tierversuche ergänzt werden.

1–10 Tonnen (Anlage V)

Hautverträglichkeit oder Hautätzung (in vitro = im Reagenzglas)
Schleimhautverträglichkeit (in vitro)
Allergietest (Mäuse oder Meerschweinchen)
Mutagenität (erbgutverändernde Eigenschaften) (in vivo = am lebenden Tier)
Umweltgiftigkeit (Wasserflöhe)

10–100 Tonnen (Anlage VI)

zusätzlich zu Anhang V:
Hautverträglichkeit (Kaninchen)
Schleimhautverträglichkeit (Draize-Test an Kaninchen)
Mutagenität (in vitro)
akute Giftigkeit (oral, dermal oder Inhalation) (Ratten, Kaninchen)
Giftigkeit bei wiederholter Gabe (28 Tage) (Ratten)
Subchronische Giftigkeit bei wiederholter Gabe (90 Tage) (Ratten, Hunde, Schweine, Meerschweinchen, Kaninchen)
Reproduktions-Giftigkeit (Ratten, Mäuse)
Toxikokinetik (Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung der Substanz im Organismus) (Tierart unklar)
akute Umweltgiftigkeit (Fische)

100–1000 Tonnen (Anlage VII)

zusätzlich zu Anhang V, VI:
In-vivo-Mutagenitätstests, wenn vorhergehende Tests positiv waren (Ratten, Mäuse)
Teratogenität (Embryogiftigkeit) an 2 Spezies (Ratten und Kaninchen oder Mäuse und Hamster)
Zwei-Generationen-Reproduktions-Giftigkeit (Ratten, Mäuse)
Umweltgiftigkeit (Langzeittests an Fischen und Wasserflöhen, Kurzzeittest an Regenwürmern; Fisch-Wachstumstest, Fischembryo-Test, Akkumulation bei Fischen, evtl. weitere Tests je nach vorhergehenden Ergebnissen)

1000 Tonnen (Anlage VIII)

zusätzlich zu Anhang V, VI, VII:
evtl. weitere In-vivo-Mutagenitätsstudien (Ratten, Mäuse)
Langzeitgiftigkeit bei wiederholter Gabe (12 Monate) (Ratten)
weitere spezielle Giftigkeitstests können vorgeschlagen werden
Karzinogenität (Ratten, Mäuse, Hamster)
evtl. weitere spezielle Studien
Umweltgiftigkeit (Langzeittest an Regenwürmern und anderen wirbellosen Tieren, Langzeit-Reproduktionstest an Vögeln)

Beispiele für einige der genannten Tests:

Tests auf akute Giftigkeit: Gruppen von Mäusen, Ratten oder anderen Tieren werden vergiftet, um die Dosis zu finden, bei der die Hälfte der Tiere einer Gruppe stirbt. Die Testsubstanz wird den Tieren über eine Sonde direkt in den Magen gepumpt. Je nach Dosierung leiden die Tiere an Vergiftungserscheinungen und sterben qualvoll unter Zittern, Krämpfen, Übelkeit, Erbrechen, Lähmungen, Durchfall, Blutungen, Nierenversagen usw.

Draize-Test:
Der zu testende Stoff wird in die Augen von Kaninchen geträufelt. Die Tiere müssen den äusserst schmerzhaften Test, in einem winzigen Kasten fixiert, über sich ergehen lassen und haben so keine Möglichkeit, sich die Lösung aus den Augen zu wischen. Die Schäden an den Augen, wie Rötung, Schwellung, Ausfluss, Entzündung, Geschwürbildung, werden protokolliert.

Hautverträglichkeitstest:
Kaninchen wird die Testsubstanz auf die geschorene Rückenhaut gerieben. Auch hier werden die Veränderungen der Haut beobachtet.

Warum können Tierversuche keine Chemikaliensicherheit gewährleisten?

Tierversuche sind, insbesondere im Bereich der Giftigkeitsprüfungen, äusserst unzuverlässig. Menschen und Tiere sowie verschiedene Tierarten reagieren auf Gifte zum Teil ganz unterschiedlich. So bestehen erhebliche Unterschiede, u.a. bei der Aufnahme, der Art der Wirkung, der Verstoffwechselung und der Ausscheidung von Chemikalien. Die Ergebnisse aus Tierversuchen können daher nicht auf den Menschen übertragen werden. Tierversuche sind für die Gewährleistung der Sicherheit der Konsumenten völlig ungeeignet. Zahlreiche tierversuchsfreie Verfahren an schmerzfreier Materie wurden bereits entwickelt, die grösstenteils eine sehr gute Übereinstimmung mit den am Menschen gesammelten Daten aufweisen.

Aktion am 8. September 2004 in Brüssel

REACH: Bei der Demo in Brüssel wurden ca. 500'000 Unterschriften übergeben
REACH: Bei der Demo in Brüssel wurden ca. 500'000
Unterschriften übergeben
Tierrechtler aus ganz Europa übergaben den Parlamentariern in Brüssel rund 500’000 europaweit gesammelte Unterschriften. Die Unterzeichner fordern, für das neue Chemikalien-Programm moderne tierversuchsfreie Verfahren zu fördern, anstatt Millionen Tiere zu vergiften.


Menschen für Tierrechte –

Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Strasse 4a
D-52072 Aachen

Fotos: Astrid Reinke, Paul Shotton