Hürde Validierung - Warum dauert es so lange, bis tierversuchsfreie Testmethoden anerkannt werden?

Warum dauert es so lange, bis tierversuchsfreie Testmethoden anerkannt werden?

Die «Methode Tierversuch» gilt seit mehr als hundert Jahren als «Goldstandard» in der Wissenschaft und hat so auch Eingang in unzählige Gesetze gefunden, vorgeblich, um Mensch und Umwelt vor schädigenden Einflüssen zu schützen. Rund 18 Prozent der Tierversuche werden laut Angaben des Bundesamtes für Veterinärwesen (BVET) aufgrund gesetzlicher Vorschriften durchgeführt.

Zellen werden in flüssigem Stickstoff aufbewahrt Zahlreiche Bestimmungen auf nationaler und EU-Ebene schreiben Tierversuche direkt oder indirekt vor. Dazu kommen internationale Vorgaben, wie die Chemikalien-Richtlinie REACH und die Richtlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development – OECD), der die wichtigsten Industrienationen angehören. Will eine Firma ihre Produkte weltweit vertreiben, wird sie die in den OECD-Richtlinien verlangten Tests durchführen. Ein Grossteil der in diesen Prüfvorschriften vorgegebenen Tests stellt Versuche an Tieren dar. Damit die tierversuchsfreien Verfahren («In-vitro-Methoden») in diese Richtlinien und Rechtsvorschriften Eingang finden, müssen sie einen langwierigen Prozess, die sogenannte Validierung, durchlaufen.

Zu den gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuchen zählen vor allem die Giftigkeitsprüfungen für neue Chemikalien und Arzneimittel. Tierversuche im Bereich der Grundlagenforschung und Arzneimittelentwicklung unterliegen keinen Regelungen. Entsprechend müssen tierversuchsfreie Verfahren in diesen Bereichen auch nicht validiert werden, um zum Einsatz zu kommen.


Abschnitte der Validierung

Auf den internationalen Validierungs-Workshops 1990 und 1994 in der Schweiz einigten sich Vertreter von Industrie, Hochschulen und Behörden aus Europa und Amerika auf die wichtigsten Prinzipien eines Validierungsprozesses. Dieses Konzept wurde 1995/96 von der Schweiz, allen EU-Mitgliedstaaten, den US-Behörden und allen OECD-Mitgliedstaaten anerkannt. Demnach muss eine In-vitro-Methode für ihren angestrebten Einsatz die folgenden fünf Schritte durchlaufen:

Testentwicklung

Tropfen aus Nährflüssigkeit werden in eine Petrischale pipettiert. In den Tropfen wachsen Zellen

Das Testziel wird genau festgelegt und definiert. Ersatzmethode und Tierversuch müssen eine möglichst grosse Ähnlichkeit aufweisen, denn diese Methode soll geeignet sein, das Ergebnis eines konkreten Tierversuchs nachzuahmen.

Prävalidierung

Ziel der Prävalidierung ist die Erarbeitung eines standardisierten und reproduzierbaren Testprotokolls. Hierfür wird folgendermassen vorgegangen: Nach der Entwicklung einer neuen Methode in einem Labor wird sie von einem zweiten Labor überprüft und gegebenenfalls verbessert. Dieses Labor entwickelt ein Standardprotokoll, das wiederum von einem dritten, unabhängigen Labor überprüft wird. Schliesslich wird in einem ersten Testlauf die Reproduzierbarkeit, also Wiederholbarkeit, der Methode in zwei bis drei weiteren Labors kontrolliert.

Validierung

Die eigentliche Validierung ist ein äusserst aufwendiges und komplexes Unterfangen. Ein genau definierter Projektplan wird aufgestellt, in dem Ziele, Inhalt und zeitlicher Ablauf der Studie festgelegt werden. Mit Hilfe von unabhängigen Projektgruppen werden teilnehmende Laboratorien, Testsubstanzen, Datenstruktur und spätere Datenauswertung festgelegt. In der sogenannten Ringstudie wird die Methode von verschiedenen Labors unabhängig voneinander geprüft, ohne dass diese wissen, welche Substanzen sie testen. Die Durchführung der Studie erfolgt unter «doppelt blinden Bedingungen», d.h., sowohl die Testsubstanzen als auch die Laboratorien werden für die Auswertung mit Codes versehen.

Auswertung

Veränderungen der kultivierten Zellen werden nach Zugabe einer Testsubstanz unter dem Mikroskop beurteilt

Den Abschluss der Validierung bildet die Bewertung der Prüfergebnisse durch kompetente, unabhängige Experten. Dabei werden Fragen zur Qualität, Präzision und Reproduzierbarkeit des In-vitro-Tests, des Ziels der Studie und der Beziehung zwischen In-vivo- und In-vitro-Daten beurteilt. Die Ergebnisse der Validierungsstudie werden dann in anerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert.

Behördliche Anerkennung

Bei erfolgreichem Abschluss der Validierungsstudie legen die Gutachter nun die Methode den internationalen Gremien vor, um ihre Aufnahme in offizielle Prüfrichtlinien zu erreichen. Gremien wie die OECD leiten auf den Antrag eines Mitgliedstaates hin das formale Verfahren zur Akzeptierung der neuen Methode und zur Aufnahme in ihr Regelwerk, die OECD-Richtlinien, ein.

Das Validierungsverfahren bis zur behördlichen Anerkennung einer tierversuchsfreien Methode und zu ihrer Aufnahme in die Prüfrichtlinien kann sich 10–15 Jahre hinziehen.


Tierversuche wurden nie validiert!

In diesen Kunststoffgefässen wachsen Hautzellkulturen. An ihnen kann die Ätzwirkung von Substanzen festgestellt werden Wie ist es zu erklären, dass sich die Validierung vieler tierversuchsfreier Verfahren sehr lange hinzieht und mitunter scheitert? Warum werden immer noch so viele Tierversuche durchgeführt? Das Problem ist, dass eine tierversuchsfreie Methode nur behördlich anerkannt wird, wenn ihre Ergebnisse mit denen des entsprechenden Tierversuchs übereinstimmen. Doch der Tierversuch selbst wurde nie validiert. Einige der in den Prüfvorschriften verankerten Tierversuche stammen aus den 1930er/40er Jahren und wurden bis heute nicht daraufhin überprüft, ob sie sich überhaupt eignen, Gesundheitsrisiken für den Menschen sicher bewerten zu können. Tierversuche wurden einfach in die Gesetze aufgenommen, obwohl die Ergebnisse ungenau, nicht verlässlich reproduzierbar und nicht auf die Situation beim Menschen übertragbar sind. Die Qualität neuer, sinnvoller Testsysteme wird also an einer schlechten, veralteten Methode gemessen. Wirklich aussagekräftige In-vitro-Systeme müssen ungeheure Hürden überwinden, um anerkannt zu werden. Die Validierung anhand des  Tierversuchs ist unsinnig, sinnvoll wäre ein Vergleich der neuen Methode mit bekannten Daten aus der Humanmedizin.

Es geht viel zu langsam

Trotz der enormen Hindernisse wurden in den letzten Jahren einige tierversuchsfreie Verfahren in schweizerische und europäische Rechtsvorschriften aufgenommen, z.B. im Bereich der Prüfung von Impfstoffen und Hormonen. In die OECD-Vorschriften haben bislang jedoch nur wenige moderne Methoden Eingang gefunden.


  Dr. med. vet. Corina Gericke
Ärzte gegen Tierversuche e.V.


Weitere Informationen:

Die Broschüre «Woran soll man denn sonst testen» finden Sie als PDF unter: http://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/images/infomaterial/woran_soll_man_testen.pdf

Die Internetplattform der Ärzte gegen Tierversuche e.V. finden Sie unter: http://www.aerzte-gegen-tierversuche.de