Biochips - Die In-vitro-Revolution
Biochips kommen einer Revolution bei der Wirkstofftestung gleich. Dank automatisierten Abläufen lassen sich grosse Mengen an Substanzen in kürzester Zeit messen, zuverlässig, preisgünstig, schnell und – wenn menschliche Zellen verwendet werden – auf die Situation beim Menschen übertragbar. Also genau das Gegenteil von Tierversuchen, die aufwendig, langwierig, schlecht reproduzier- und übertragbar sind.
Mittlerweile gibt es bereits eine ganze Palette solcher Lab-on-a-chip («Labor auf einem Chip») genannten Systeme für Haut, Leber, Lunge, Nervenzellen und sogar kombiniert als eine Art Mini-Organismus.
Nerven-on-a-chip
Ein Wissenschaftler-Team am Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften, am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung und an der Universität Dortmund hat ein Nervennetz auf einem Biochip entwickelt, das gegenüber Tierversuchen und selbst herkömmlichen Zellkulturen entscheidende Vorteile hat. Gesunde Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn versuchen auch in einer Kulturschale Fortsätze zu bilden und miteinander in Kontakt zu treten. Im Gehirn sind die Vernetzungsvorgänge in Nervenzellen, die das ganze Leben lang anhalten, die Voraussetzung von Erinnerungsvermögen und Lernen.
Stoffe, die bei Neuronen die Vernetzung behindern, bewirken unter anderem Gedächtnisstörungen. In herkömmlichen Zellkulturen müssen Anzahl und Länge der gebildeten Fortsätze einzeln unter dem Mikroskop ausgezählt werden, um die nervenschädigenden Eigenschaften von aufgeträufelten Chemikalien zu untersuchen. Auf dem Biochip wachsen die Neuronen in sechseckigen Silikongittern. Durch die regelmässige Anordnung lässt sich die Beurteilung automatisieren – das mühsame Auszählen entfällt. Der Test ist sehr viel genauer und empfindlicher als jeder Tierversuch.[1]
Lunge-on-a-chip
Wissenschaftler der Harvard-Universität haben eine Art künstliche Lunge auf einem Labor-Chip entwickelt. In einem System aus winzigen Mikrokanälchen aus flexiblem Kunststoff werden menschliche Lungenzellen angesiedelt. Die Kanälchen lassen sich durch ein Vakuum strecken. So kann die natürliche Atmungsbewegung der Lungenbläschen nachgeahmt werden. Eine Testsubstanz wie beispielsweise ein Nanopartikel aus Siliziumoxid wird mit einem Luftstrom in das System geleitet, um den Übergang von Substanzen in der Atemluft in die Lungenbläschen nachzustellen. Der nächste Schritt wäre, einen künstlichen Blutstrom hinter die Lungenbläschen zu schalten. Damit könnte der komplette Weg aus der Atemluft bis in den Blutkreislauf simuliert werden.[2]
Haut-on-a-chip
Eine vollautomatische Untersuchungsmöglichkeit von Kosmetika haben Wissenschaftler der FH Jena entwickelt. Auf einem mit winzigen Schläuchen durchzogenen fingerkuppengrossen Chip werden menschliche Hautzellen gesät. Mit elektrochemischen Methoden und mit Hilfe einer Kamera wird gemessen, wie die Zellen auf eingeschleuste giftige oder reizende Substanzen reagieren. Wirkstoffe können so schnell, zuverlässig und preisgünstig getestet werden. Bis der Prototyp in Serie gehen kann, ist jedoch noch einiges an Entwicklungsarbeit zu leisten.[3]
Körper-on-a-chip
In einem an der amerikanischen Cornell University erfundenen Biochip wird an einer Art künstlichem Organismus getestet. In einem System aus winzigen Gängen und Kammern auf einem Mikrochip werden menschliche Zellen von Magen, Darm, Leber, Blut, Niere usw. angesiedelt. Ein Wirkstoff zirkuliert in einer Nährflüssigkeit durch den künstlichen Mini-Menschen. Die Wirkung in den einzelnen Organen, seine Verstoffwechslung sowie die mögliche Entstehung giftiger Abbauprodukte können so getestet werden. Sogar Krankheiten des Menschen können mit dem Mikrochip nachgeahmt werden. Das Team an der Cornell University arbeitet an der Simulation von Krebs. Kombinationen von Wirkstoffen können in den mit Krebszellen beschichteten «Organen» des Chips auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit geprüft werden. Tests, die am Tier Monate dauern, lassen sich mit Hilfe der Chips innerhalb von ein bis zwei Tagen durchführen.[4] Das System ist inzwischen patentiert und wird von der amerikanischen Firma Hurel vertrieben.
Biochip mit Algen
In den USA wurde von Forschern des Rensselaer Polytechnic Institute der Universität Berkeley in Kalifornien ein Biochip entwickelt, der aus einer Kombination von Algen und menschlichen Zellen oder Leberenzymen besteht. Die Testsubstanz wird in das System gegeben, und anhand der Färbung ist erkennbar, ob eine Chemikalie schädlich ist oder ein Medikament die gewünschte Wirkung zeigt.[5]
Minilabor
Am Biotechnologisch-Biomedizinischen Zentrum in Leipzig wurde ein dreidimensionaler Biochip entwickelt, der wie ein Minilabor funktioniert. Ein Stück Gewebe wird in den Biochip gegeben und ein Medikament hinzugefügt. An den Biochip sind Elektroden angeschlossen, um Strom durch das System zu leiten. Anhand des elektrischen Widerstands lässt sich die Auswirkung eines Wirkstoffes beurteilen. Künftig sollen auf diese Art Medikamente für spezifische Tumore schnell, zuverlässig und kostengünstig gefunden und damit eine gezieltere Patientenbehandlung ermöglicht werden.[6]
Niere-on-a-chip
Koreanischen Wissenschaftlern ist es gelungen, die Zellen von Nierentubuli in vitro wachsen zu lassen. Die Nierentubuli sind dünne Röhren in den Nierenkörperchen, die das Blut filtern und den Harn produzieren. Diese Funktion behalten die Zellen auch in der dreidimensionalen Anordnung auf einem Chip bei.
Die Zellen werden von einer Flüssigkeit durchströmt und filtern sie durch eine Membran. So kann erforscht werden, ob und wie die Nierenzellen Wirkstoffe ausscheiden. Für den Prototyp wurden Rattenzellen verwendet. Die Ärzte gegen Tierversuche e.V. und die AG STG lehnen die Verwendung von tierischen Zellen für In-vitro-Systeme ab. Das hier beschriebene System würde ebenfalls mit menschlichen Nierenzellen von medizinisch notwendigen Operationen funktionieren.[7]
Arterie-on-a-chip
Kanadische Wissenschaftler haben auf einem Mikrochip kleine Arterienabschnitte langzeitkultiviert. Das System eignet sich zur Überprüfung von herz- und kreislaufwirksamen Medikamenten, und es kann automatisiert werden, d.h. eine grosse Anzahl potentieller Wirkstoffe kann in kürzester Zeit durchgetestet werden. Zu kritisieren ist auch hier, dass Blutgefässe von Mäusen verwendet wurden, was aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen abzulehnen ist. Der Einsatz von menschlichen Blutkapillaren wäre dagegen sinnvoll.[8]
Dr. med. vet. Corina Gericke
Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Weitere Informationen:
Die Broschüre «Woran soll man denn sonst testen» finden Sie als PDF unter: http://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/images/infomaterial/woran_soll_man_testen.pdf
Die Internetplattform der Ärzte gegen Tierversuche e.V. finden Sie unter: http://www.aerzte-gegen-tierversuche.de
Quellenangaben:
- Nervennetz auf dem Biochip statt Tierversuche, du und das tier, 2/2010, S. 18
- Lunge auf dem Chip, Welt der Physik, 25. 6. 2010 (http://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/news/2010/lunge-auf-dem-chip/)
- Fachhochschule in Jena entwickelt «das Labor» auf dem Chip, Thüringer Allgemeine, 21. 7. 10 (http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Fachhochschule-in-Jena-entwickelt-das-Labor-auf-einem-Chip-556412543)
- Versuchskaninchen aus Silizium, Technology Review, Juli 2004, S. 45-48 (http://www.heise.de/tr/artikel/Versuchskaninchen-aus-Silizium-280967.html)
- Biochip mimics the body to reveal toxicity of industrial compounds, innovations report, 19. 12. 2007 (http://www.innovations-report.de/html/berichte/biowissenschaften_chemie/bericht-100385.html)
- 3D-Biochip eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten, LaborPraxis, 23. 6. 2008 (http://www.laborpraxis.vogel.de/analytik/bioanalytik/biochips/articles/125042/)
- Kyung-Jin Jang at al.: A multi-layer microfluidic device for efficient culture and analysis of renal tubular cells. Lab Chip 2010, 10, 36, DOI:10.1039/b907515a
- Günter, A., et al.: A microfluidic platform for probing small artery structure and function. Lab Chip 2010, 10, 2341-2349