Zwischen Nocebo und Placebo
«Damit Sie gesund werden, müssen Sie unbedingt dieses Medikament nehmen. Wenn Sie dieses Medikament nicht nehmen, dann wird Ihre Gesundheit immer schlechter, und Sie werden...» So tönt es millionenmal in den Arztzimmern. Keine Frage: Nicht selten stimmt das auch. Es gibt sehr nützliche Medikamente, die man auch einnehmen soll. Die Frage, die sich aber oft stellt, ist jedoch: Wieviel Medizin steckt zwischen dem Placebo- und dem Nocebo-Effekt? Der Nocebo-Effekt («ich werde schaden») beschreibt vereinfacht gesagt eine geglaubte negative Wirkung z.B. eines Arzneimittels. Also praktisch das Gegenteil vom Placebo-Effekt.
Irgendwie schon paradox: Gerade die Menschen, deren Aufgabe es ist, zu helfen, «dass man wieder gesund wird», verursachen oft schon alleine durch (unbedachte?) Äusserungen, dass man sich schlechter fühlt oder sogar erst richtig krank wird. Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten sind verantwortlich für jährlich Tausende Todesfälle. Aber trotzdem muss die Frage gestellt werden, ob das übermässige Warnen vor Risiken nicht fast ebenso schädlich ist. Es ist ausführlich belegt, dass Patienten oft erst an Nebenwirkungen leiden, nachdem sie vor diesen gewarnt worden sind. Auch frühe bzw. voreilige Diagnosen sind schlimmstenfalls tödlich, in vielen Fällen schränken sie zumindest die Lebensqualität von Patienten stark ein.
Ein Beispiel: Seit Jahren wird diskutiert, ob eine regelmässige Mammografie sinnvoll ist oder nicht. Man weiss, dass, wenn 1000 Frauen regelmässig in die Mammografie gehen, von diesen nur 4 anstatt 5 später an Brustkrebs sterben werden. Man weiss aber auch, dass durch diese Untersuchung fast jede zehnte getestete Frau eine Fehldiagnose erhält. Diese fälschlich positiven Befunde führen zu weiteren Untersuchungen, teils zu einer Nadelbiopsie bis im schlimmsten Fall zu einer Operation. Die physischen und psychischen Belastungen dadurch haben teilweise gravierende Auswirkungen. Die entscheidende Frage, die sich die Experten deshalb stellen, ist: Was ist «besser»: ein gerettetes Menschenleben oder 100 zum Teil völlig verunsicherte Patientinnen? Dies kann und muss ich zum Glück nicht beantworten.
Aber die Medizin muss sich dieser und weiteren Fragen im Zusammenhang mit dem Nocebo-Effekt stellen. Der Glaube, dass einfach das Medikament bzw. die Therapie wirkt (oder schadet), greift viel zu kurz. Es braucht weitere wissenschaftliche Studien über den Einfluss dieser Effekte. Auch hier scheitert – einmal mehr – die Forschung mit Tierversuchen. Solche Untersuchungen können jedoch einen wesentlichen Beitrag zum medizinischen Fortschritt leisten.
Andreas Item