Ich für niemand und alle für mich

Profilneurosen: Ich beginne diesmal bewusst mit diesem harten, negativ bewerteten Begriff, auch wenn ich ihn gleich wieder etwas entschärfen muss – denn nur darum geht es hoffentlich nicht. Politiker «leiden» manchmal an Profilneurosen. Vor den Wahlen sind sogar sehr viele davon betroffen. Die Wahlplakate sagen kaum was aus, sondern dienen oft nur dem persönlichen Geltungsdrang. Sagen uns: «Wählt mich (weil ich gut bin)!» Mit Menschen mit starkem Geltungsdrang hat auch jede Bewegung zu kämpfen. Manchmal tun diese Menschen auch gut, manchmal sind sie sogar sehr wichtig – aber allzu oft schaden diese Menschen und ihr Ego einer Bewegung.

Zusammenarbeit ist nicht immer einfach. Sprachliche (wie hier in der Schweiz) und ideologische Barrieren sind da nur einige der Hürden, die zu nehmen sind. Aber grundlegend gegen eine Zusammenarbeit zu sein? Ich habe, als ich bei der AG STG angefangen hatte, etwa 50 Vereine und Organisationen angefragt, ob sie interessiert seien an einem Gedankenaustausch über mögliche Schnittstellen für eine Zusammenarbeit. Die Resonanz war vernichtend. Nur vier Organisationen hatten überhaupt geantwortet, und von diesen waren zwei ablehnend.

Ich habe aber das Gefühl, dass es in den letzten etwa fünf Jahren noch schlimmer geworden ist. Nicht nur einzelne Vereine, sondern immer mehr Einzelpersonen wollen in die «Halle des Ruhms» einziehen und halten sich selbst für die alleinigen auserwählten Retter der Welt. Sie meinen ernsthaft, sie hätten die geniale Idee, die scheinbar vor ihnen niemandem eingefallen sei. Von der Online-Petition (in 15 Minuten erstellt) über Tierschutzprojekte bis zur schweizerischen Volksinitiative wird an einem regnerischen Samstagnachmittag schnell mal alles Mögliche gestartet. Fundierte Sachkenntnisse, Recherche und wohldurchdachtes Überlegen? Das ist wohl nur was für Anfänger. Brainstorming und Zusammenarbeit? Nein, die anderen haben doch eh keine Ahnung. «Ich mach das alleine, weil ich der/die Beste bin» – ist das der treibende Gedanke?

Wie kann man nur glauben, dass man alles besser weiss und kann als «alle» anderen? Und wie kann man dann erwarten, dass alle anderen das ohne Wenn und Aber gut finden und einem folgen, einen blind unterstützen? Ist das nicht etwas mehr als anmassend? Anders gefragt: Geht es dann wirklich um das Ziel oder doch eher um das eigene Ego? Auch ich musste mich betreffend Zusammenarbeit schon «an der Nase nehmen», und auch ich weiss, dass dies leider nicht immer möglich ist – ich klage auch niemanden an, aber bitte alle, auch sich selbst ab und zu «an der Nase zu nehmen».

autor Andreas Item