Untersuchung zu medizinischen Erfolgen durch Tierversuche in der Psychiatrie - Heilung von Depressionen dank Mäusen und Affen?

Heilung von Depressionen dank Mäusen und Affen?

Depression, Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Syndrom und andere psychische Krankheiten nehmen immer mehr zu. Tierversuche in der Psychiatrie haben eine lange Tradition. Da immer noch viele Tierversuche durchgeführt werden, um psychische Krankheiten vom Menschen zu untersuchen, ist es angebracht, eine Bilanz zu ziehen zur Frage, ob Tierversuche zu Verbesserungen der Medizin führten.

Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung des in der medizinischen Fachzeitschrift «Psychiatric Times» 2012 erschienenen Artikels von Andre Menache, BSc(Hons), BVSc, MRCVS, der im englischen Original und als deutsche Übersetzung vollständig auf der Internetseite der AG STG zur Verfügung steht (Links siehe Ende Text).

Systematische Untersuchungen

Völlig absurd: Hunde, die sich infolge einer Allergie oft schlecken, werden als Tierversuchs-Modell für Zwangsstörungen genommenSeit Mitte des 20. Jahrhunderts haben Forscher Labor-Tiermodelle für Stress, Angst, Depression und Zwangsstörungen entwickelt, um Medikamente für menschliche Krankheiten herzustellen, zu prüfen und zu bewerten. Trotz des langen Zeitraumes seither gibt es nur wenige systematische Untersuchungen, welche die Ergebnisse aus Tierversuchen mit den Ergebnissen aus klinischen Studien am Menschen verglichen. Insgesamt schnitt das Tiermodell in Bezug auf die Vorhersage von Ergebnissen beim Menschen in diesen Übersichtsarbeiten jedoch sehr schlecht ab.18-22

Fortschritte in der Psychiatrie

Für die Beurteilung, ob Tierversuche in der Psychiatrie zu Fortschritten geführt haben oder nicht, lohnt sich ein Blick auf die grössten Errungenschaften in der Psychiatrie.
Das erste Antidepressivum, Isoniazid, wurde 1957 per Zufall entdeckt, als Stimmungsverbesserungen beim Einsatz in der Tuberkulosetherapie aufgefallen waren.2, 3 Die Antidepressiva-Gruppe der MAO-Hemmer wurde ebenfalls per Zufall entdeckt. Die Antidepressiva-Gruppe der Trizyklika wurde in klinischen Untersuchungen am Menschen entdeckt.
Chlorpromazin wurde als Narkosezusatz eingesetzt. Ein Militärchirurg erkannte 1952 dessen antipsychotische Wirkung.4, 5 Lithium, ein heute noch verwendetes stimmungsstabilisierendes Medikament, wurde durch die Beobachtung von Patienten entdeckt.6  Die beruhigende Wirkung der heute noch am meisten verwendeten Schlafmittelgruppe, der Benzodiazepine, wurde ebenfalls durch Patientenbeobachtung erkannt,7 als man Chlordiazepoxid erfolglos in der Therapie von Schizophrenie versuchte.8
Die heute am meisten verwendete Antidepressiva-Gruppe der SSRI (Abkürzung für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) wurde durch rationales Medikamentendesign entwickelt.9  Rationales Medikamentendesign ist heute die Haupttriebkraft zur Entwicklung moderner psychiatrischer Medikamente. Darunter versteht man die planvolle Herstellung von Medikamentenmolekülen mit modernster Computertechnik.

Tierversuche genauer betrachtet

Es gibt immer noch viele Wissenschaftler, die sich das viel zu einfach vorstellen und glauben, dass man durch das Ändern eines DNA-Moleküls Krankheiten besiegen könneFür eine fundierte Beurteilung von Tierversuchen in der Psychiatrie müssen auch die hierbei verwendeten Untersuchungsmethoden betrachtet werden. Im forcierten Schwimmtest nach Porsolt wird eine Ratte oder Maus in ein Gefäss mit kaltem Wasser gesetzt. Sie wird gezwungen, bis zur Erschöpfung zu schwimmen, und wird dann kurz aus dem Wasser genommen. Danach wird die Prozedur wiederholt, bis das Tier das Stadium der Hilflosigkeit erreicht hat und aufhört zu schwimmen. Gemessen wird dabei die Zeit bis zur Verzweiflung (Aufgabe). Diese Versuche werden einmal mit der Gabe eines potentiell hoffnunggebenden Medikamentes und einmal ohne ein solches Medikament durchgeführt. Nimmt die Zeit bis zur Aufgabe des Schwimmens unter dem Medikament zu, gehen die jeweiligen Forscher von einer Wirksamkeit gegen Gefühle wie Verzweiflung (häufig vorkommend u.a. bei Depressionen) aus. Zahlreiche Medikamentengruppen wie z.B. Stimulantien, Antiepileptika, Anticholinergika, Pentobarbital und Opiate haben in diesen Schwimmtests eine scheinbar positive Wirkung ergeben, waren beim Menschen aber absolut nutzlos.24, 25

Andere Tierversuche sind schon von der Konzeption her offensichtlich nutzlos. So werden z.B. Hunde mit einer sogenannten Akren-Schleckdermatitis zur Untersuchung von Zwangserkrankungen beim Menschen herangezogen.26 Bei den betroffenen Hunden liegt eine Hautentzündung der Zehen und des Schwanzes vor, was zu übermässigem Schlecken an den Wunden führt. Während Zwangserkrankungen beim Menschen vielfältige Ursachen haben, liegt bei den Hunden eine Allergie zugrunde.

Sind Tiere dem Menschen ähnlich genug?

Gegner von Tierversuchen führen ins Feld, dass sich Menschen und Tiere zu stark voneinander unterscheiden, als dass man Rückschlüsse auf den Menschen aus Tierversuchen ziehen könnte. Befürworter erwähnen, dass z.B. Menschen mit Mäusen in der DNS rund 97% Übereinstimmung haben. Das Wissenschaftler-Team um Shanks konnte jedoch zeigen, dass die während der Evolution gleich gebliebenen Gene völlig unterschiedliche Merkmale ausprägen können, da es auf die Interaktion zwischen den Genen ankommt.32  Dies gibt den Gegnern von Tierversuchen recht in ihrem Argument, dass Tierversuche eine unnötige Forschungsmethode sind, da die Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragbar sind. Auch zahlreiche andere systematische Untersuchungen konnten zeigen, dass selbst gentechnisch veränderte Tiere sich nicht für Untersuchungen von menschlichen Krankheiten eignen. Hirst und Kollegen untersuchten z.B. den Nutzen von Serotonin Typ 6 bei Knockout-Mäusen. Knockout-Mäuse sind genmanipulierte Tiere, bei denen gezielt einzelne Gene ausgeschaltet wurden. Deren Verwendung bedeutet für die Tiere oft grosses Leiden und bedingt den Tod von wesentlich mehr Tieren bei der Züchtung. Obwohl Serotonin bei der Entstehung und Therapie von Depressionen eine grosse Rolle spielt, kamen Hirst und Kollegen zum Ergebnis, dass sich die genmanipulierten Tiere nicht für die Vorhersage von Wirkungen am Menschen eignen.33

Auch wenn uns viele Affen noch so ähnlich sind, machen doch die kleinen Unterschiede einen grossen Unterschied aus in Bezug auf die Wirkung von HeilmittelnNoch immer sehen manche Wissenschaftler in der Verwendung von Primaten als uns nächstverwandter Art ein gutes Modell. Sie ignorieren dabei nicht nur die schlechten Ergebnisse der Vergangenheit, sondern auch die erheblichen Unterschiede zwischen Affen und Menschen. So macht beispielsweise die als Area 1 bezeichnete Region des Seh-Gehirns bei Affen 10% der gesamten Grosshirnrinde aus, beim Menschen hingegen nur 3%. Auch können anatomisch vergleichbare Strukturen des Seh-Gehirns bei Affen und Menschen völlig unterschiedliche Aufgaben haben.37 Der Aufbau und die Physiologie des menschlichen Gehirns ist wesentlich komplexer als beim Affen-Gehirn. Ein Beleg hierfür ist die benötigte Entwicklungszeit des Gehirns bis zur Hauptphase: 136 Tage bei Affen und 470 Tage bei Menschen.38 Andere wesentliche Unterschiede sind die Anzahl von Verknüpfungen einer menschlichen Nervenzelle (zwischen 7000 und 10 000) verglichen mit Rhesusaffen (zwischen 2000 und 6000) sowie die Expression von mind. 91 Genen, die bei Affen und Menschen verschieden sind und die bei einer Vielzahl von Nervenzellaktivitäten beteiligt sind.37, 39 Wie man aber heutzutage weiss, kann bereits eine einzige Veränderung in den Tausenden von Genen weitreichende unterschiedliche Folgen haben. Beispielsweise ist die Sichelzellanämie eine schmerzhafte Krankheit, die durch eine fehlerhafte Aminosäure im Hämoglobinmolekül ausgelöst wird. Die Ursache ist ein Fehler in einer einzigen Untereinheit innerhalb von Tausenden, welche das Hämoglobin-Gen beinhaltet.101
Kreiman und sein Team untersuchten den in der Evolution am meisten zwischen Affen und Menschen gleich gebliebenen Hirnteil, den Hippocampus.37 Sie fanden heraus, dass sich dennoch die Verteilung der Rezeptoren für Neurotransmitter erheblich zwischen den Arten unterscheidet. Somit liefern also nicht einmal Untersuchungen an Menschenaffen zuverlässig auf Menschen übertragbare Resultate.

Übertragbarkeit von Tierversuchs-Ergebnissen auf den Menschen

Bevor Medikamente zugelassen werden, fordern die Zulassungsbehörden u.a. Giftigkeitsprüfungen (Toxizitätsprüfungen) an einer Nagetierart (meist Ratten) und an einer Nichtnagetierart (meist Hunden). Hierfür werden mehrere Testreihen durchgeführt, um die Giftigkeit von hohen Einzeldosen, wiederholten Gaben und einer Langzeitgabe zu untersuchen. Die akute toxische Dosis (LD50) ist die mittlere tödliche Dosis des Wirkstoffes, bei der 50% der Tiere sterben. Wiederholte Gaben erfordern in der Regel Untersuchungen über 14–28 Tage, während die Langzeitgaben bis zu 90 Tage bei Ratten und bis zu 12 Monate bei Hunden dauern, was entsprechend langes Leiden für die Tiere bedeutet. Die Zulassungsbehörden fordern nach wie vor solche Tests, obwohl mehrfach belegt wurde, dass diese Toxizitätsprüfungen keine Aussagen über Schädigungen am Menschen erlauben.41-44 Ein Beispiel, um dies zu illustrieren: Bei 200 mg (pro Kilogramm Körpergewicht) des Antidepressivums Fluvoxamin sterben in den LD50-Versuchen 50% der Ratten. Hingegen sterben bereits bei 20 mg (pro Kilogramm Körpergewicht) alle Menschen. Die für Menschen giftige Dosis beträgt also nur 1% derjenigen bei Ratten. Die für Menschen giftige Dosis kann also nicht aus Tierversuchen abgeleitet werden. Damit werden oft Gefahren für Menschen vorgetäuscht, wo gar keine existieren, und andererseits ebenso oft Gefahren für Menschen nicht erkannt, weil die Medikamente für Tiere gut verträglich waren.

 

Tabelle: Vergleich von LD50-Dosen bei Tiermodellen mit letalen Dosen beim Menschen für ausgewählte Medikamente/Wirkstoffe in mg pro kg Körpergewicht

 

Das künstliche Experiment

Tierversuche stellen grundsätzlich künstliche Situationen dar. Krankheiten werden simuliert und entsprechen absolut nicht den Krankheitsursachen beim Menschen. Hinzu kommen weitere Einflussfaktoren wie Gruppen- statt Einzelhaltung, Einstreu, Tag-Nacht-Rhythmus und Behandlung durch die Wärter. Dies hat erwiesenermassen einen Einfluss auf die Psyche und damit auf die Studienresultate und führt somit zu falschen Ergebnissen, wenn man sie auf Menschen überträgt.48-50

Zusammenfassung und innovative Forschung der Zukunft

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Tierversuche nicht zur Untersuchung von psychiatrischen Krankheiten am Menschen eignen. Auch für andere medizinische Bereiche wurde dies gezeigt. Einige Forscher rechtfertigen weiterhin den Bedarf für invasive Tierversuche (insbesondere an nicht-menschlichen Primaten wie z.B. Rhesusaffen), da Untersuchungen an einzelnen Nervenzellen beim Menschen nicht möglich sind.53, 54 Das ist nicht länger der Fall, da jetzt z.B. die Aktivität einzelner Nervenzellen bei Parkinson-Patienten mit Tiefenhirnstimulation studiert werden kann oder bei Patienten mit Epilepsie elektrische Sensoren benutzt werden, um die epileptischen Herde zu identifizieren.

Auch in der Psychiatrie gelangen uns die wesentlichen Durchbrüche in der Medikamentenforschung nicht im Tierversuch

Obwohl molekulare Psychiatrie einige Einblicke in die Mechanismen von Krankheiten des Geistes liefert, bleiben äussere psychosoziale Faktoren, welche das menschliche Verhalten massiv beeinflussen, von ihr unberücksichtigt.52 Die gegenwärtigen Trends deuten deshalb darauf hin, dass Diagnosestellungen und Behandlungen von psychiatrischen Erkrankungen beim Menschen im 21. Jahrhundert mehr auf einem integrativen Ansatz basieren werden. Dies unter Berücksichtigung der wichtigsten genomischen Fortschritte (z.B. Transkriptom des menschlichen Gehirns; Pharmakogenomik in der Medikamentenentwicklung auf dem Weg zu personalisierter Arznei); von nichtinvasiven Untersuchungstechniken, kombiniert mit ethischen pharmakologischen Untersuchungen wie z.B. Pharmako-Magnetoenzephalographie;56, 57 klinischer Beobachtung sowie anderen wichtigen auf den Menschen ausgerichteten Methoden. Nur damit ist eine evidenzbasierte Medizin möglich, welche menschlichen Patienten zugute kommt. Angenehmer «Nebeneffekt» wird dabei sein, dass Tieren viel Leid erspart bleiben wird.

Dr. med. Alexander Walz
Oberarzt, wissenschaftlicher und medizinischer Berater der AG STG 

 

Den vollständigen Artikel sowie das Quellenverzeichnis finden Sie unter:

http://www.agstg.ch/downloads/fachartikel/sind-tierversuche-wichtig-in-der-modernen-psychiatrie_menache_de.pdf(deutsch)

http://www.agstg.ch/downloads/fachartikel/are-animal-models-relevant-in-modern-psychiatry_menache_en.pdf(englisch)

Andre Menache: http://www.animalconsultants.org/consultants/menache_andre.html